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Kolumnen

Kleines Format, große Wirkung. Neben Lyrik sind Kolumnen bei j:m: zuhause, weil dieses Format per se Grenzen verwischt. Journalistische Neugier verbindet sich mit künstlerischem Experiment. Eine Sprache, die aus Reibung mit Realität entsteht, weiß um deren Relativität.

Hier geht es weiter zu den Tango-Kolumnen »Tango Dreams« und »Tango Sehnsucht«. Und hier zu den Kolumnen »Bei Papa gibt es immer Cola« sowie den Blog-Artikeln »Immer wieder Single.de«

»Bei Papa gibt es immer Cola!«

Lyrik-Postkarten

»Wenn Texte und Bilder miteinander tanzen,
entstehen meine Lyrik-Postkarten.«

Lea Joan Martin

Für ihre Lyrik-Postkarten hat Lea Joan Martin Auszüge ihrer Gedichte und Bild-Motive von CANVA verwendet. Die Gestaltung der Lyrik-Postkarten von Khalid Aouga wurde durch seine Bilder und den Lyrikband »Im verborgenen Garten« inspiriert.

Die Postkarten können einzeln bestellt werden, Stück: 1,50 €
Oder als Set von vier Postkarten für 5,00 €. Bei der Bestellung im Freitextfeld bitte einfach angeben, welche Postkarten es sein dürfen.

NEU: Die neuen Motive »weiterleben« sind unter diesem Link zu finden.

Set von Lyrik-Postkarten von j:m:
Motive nach Wahl, 4 Stück 5 €
Bitte die gewünschten Motive im Freitextfeld angeben


NEU: »Überall und nirgends daheim«

„Ausländische Autoren in der DDR? Wo es doch ohnehin kaum Ausländer gibt!“

So ungefähr war das Echo, als Lea Martin im Jahr 1992 anfing, nach ihnen zu suchen. Sie arbeitete damals für die von Ingeborg Drewitz gegründete Neue Gesellschaft für Literatur e. V. und hatte die Aufgabe übernommen, internationale AutorInnen aus der DDR dabei zu unterstützen, sich im Förderdschungel des westlichen Literaturbetriebs zurechtzufinden.

Und wider Erwarten, es gab sie doch. Ausländer. Ausländische AutorInnen. Vom arabischen Lyriker über die Tochter des ersten und ermordeten mongolischen Ministerpräsidenten bis zum fahnenflüchtigen US-Amerikaner: Aus allen Teilen der Welt schien ein/e VertreterIn in der DDR gelandet zu sein. Mit insgesamt dreizehn Autorinnen und Autoren aus zehn Ländern hat Lea Martin Gespräche geführt, teilweise über zwei Jahre hinweg. Adel Karasholi, Sodnomyn Zambaga, Victor Grossman. Ikbal Hassoon. Valeri Scherstjanoi. Salima Salih. Kedar Nath. José Pablo Quevedo. Sonia Solarte. Karim Al Asadi. Pham Thi Hoai. Tien Hung. Asteris Kutulas. Keine Namen, die in Bestsellerlisten auftauchen. Was Lea Martin an ihnen „studierte“, war das Verhältnis ihres Schreibens zu den Brüchen in ihrer Biografie.

DDR-Deutsche haben 1989 den Zusammenbruch ihrer Heimat erlebt. Lea Martin interessierte, ob und wie Brüche produktiv gemacht werden. Gerade weil die DDR kein Einwanderungsland und ein faktisches Asylrecht trotz Artikel 23 Abs. 3 der DDR-Verfassung kaum vorhanden war, sahen sich die wenigen ausländischen Intellektuellen in einer besonderen Situation. In ihrem Status teils privilegiert, teils ghettoisiert, zogen sie sich zurück oder wurden vorwärtsgetrieben zur Assimilation. Das Ideal des „proletarischen Internationalismus“ zwang Nicht-Deutschen, die am öffentlichen Leben teilhaben wollten, eine Ent-Nationalisierung auf, die nach der „Wende“ aufatmend zurück vollzogen wurde. 

In Interviews, Porträts und eigenen Texten der insgesamt dreizehn AutorInnen werden diese so vorgestellt, wie Lea Martin sie vor dreißig Jahren wahrgenommen hat. Der Buchtitel »Überall und nirgends daheim« ist dem Interview mit der irakischen Autorin Ikbal Hassoon entnommen. Die Gleichzeitigkeit eines scheinbar unvereinbaren Widerspruchs bringen vor allem die AutorInnen zum Ausdruck, für die »Heimat« auch im Plural funktioniert.

»Überall und nirgends daheim«. Internationale AutorInnen zwischen DDR und BRD. Lea Martin. Paperback, 248 Seiten, ISBN: 978-3-935401-19-7, 22 €, lieferbar seit 06.03.2024

»Diese Figur besitzt Strahlkraft«

Arrangement des Bücherflüsterers Jürgen Gielsdorf

Das schreibt der Blogger und Bücherflüsterer Jürgen Gielsdorf auf Instagram über Die Kommunistin:

»Dieses Buch von @leajoanmartin ähnelt dem berühmten Stein. Jener der ins Wasser geworfen wird. Neue Kreise. Neue Themen. Oder auch. Ein Glas Wasser und eine Magnesium Tablette hinein geben. Es sprudelt und braust. Das entspricht dem Temperament des Buches. Dieser Titel umfasst 174 Seiten. Die habe ich jetzt einmal atemlos hinter mir. «

»Ich verabschiede mich ungern von Stella. Diese Figur macht für mich den glänzenden Mittelpunkt des Buches aus. Unsicher. Nach dem Sinn von Politik, Philosophie und Liebe suchend. Verkürzt. Aber diese Figur besitzt Strahlkraft. Dieses Buch von Lea Joan Martin kommt mit 174 Seiten daher. Diese lösten bei mir ganz viel Kopfkino aus. Über Instagram habe ich etliche Menschen mit einer DDR Biografie kennen und schätzen gelernt. Gebrochen ist ein Wort das häufig fällt. Aus deren Schilderungen fand ich einiges in diesem Buch wieder. Mut und Kraft sind für mich zwei Worte. Die Kommunistin ist im Eigenverlag der Autorin erschienen. Dort finden sich weitere gehaltvolle Titel. Der mehr als gelungene Internetauftritt lohnt einen Besuch. Danke für diese Lektüre.«

Als erster hat #rat_krespel auf Instagram Die Kommunistin entdeckt, wenn auch mit gemischten Gefühlen, die er so beschreibt:

»Mich beeindruckt allein schon die Tatsache, dass Lea ihre Bücher in einem eigenen Verlag herausbringt und sich in ihren Texten auch mit Themen auseinandersetzt, die mir wichtig sind. Die Kommunistin ist nach Erzählungen, Gedichten und Kolumnen ihr erster Roman, 2021 erschienen, und hier gibt es den deutlichen Anknüpfungspunkt zu mir, denn es geht auch darum, wie Nachkommen von Opfern und Tätern des Nationalsozialismus mit dieser Tatsache umgehen können — vor allem, wenn sie eine Beziehung eingehen. Doch es geht in diesem Roman noch um viel mehr: das Frauenbild des Marxismus (wer immer da an Positives denkt, liegt falsch), der Weg weg von den Eltern, eine ungewollte Schwangerschaft und eine genauso ungewollte Abtreibung unter dem Druck des Partners, Rassismus … Und das ist für mich eine Kritik an dem Buch: Es will zu viel. Das ist vielleicht verständlich bei einem ersten Roman, aber war für mich dennoch deutlich zu spüren. Ich habe das Buch dann meiner Tochter zum Lesen gegeben, und ihr ist vor allem das Resultat aufgefallen, wenn man auf 175 Seiten so viele wichtige Themen unterbringen will: Die Personen werden zu Stereotypen, denn es kann nicht gelingen, auf so wenig Raum so vieles adäquat umzusetzen – da wird die literarische Figur schnell zum Träger einer Haltung oder einer Meinung. Wenn jetzt jemand denkt, ’na, dann sollte ich das nicht lesen!‘, würde ich aber dennoch widersprechen, denn ich finde, dass in dem Roman Potential steckt und #leajoanmartin wirklich etwas zu sagen hat. Und vor allem gefällt mir ihre Sprache. ‚Die Aufgabe von Kunst ist es, Fragen zu stellen. Wo die Antworten beginnen, endet die Kunst.’«

Geschenk-Sets

Du liebst Dialog? Was liegt da näher, als ein Buch in Dialog treten zu lassen? Als Geschenk-Set können die Bücher von j:m: kombiniert werden mit:

»Dos Almas«, CD, 12 €, versandkostenfrei bei joanmartin

Passend zu den Tango-Büchern von j:m: kann die wundervolle CD »Dos Almas« von Duna Rolando und Gabriel Battaglia aus Berlin verschenkt werden.

TIPP: Das Tango-Duo hat es auch in die Romane »Die Entstehung der Liebe« und »Eintagsliebe« geschafft.

Weihnachts-Service: Wer vor Weihnachten bestellt, kann nicht nur direkt an eine Wunschadresse liefern lassen, wie üblich liebevoll als Geschenk verpackt, mit persönlichem Gruß. Sondern es gibt dazu eine Tüte mit Lebkuchenfiguren (unisex), gebacken nach einem alten Familienrezept. Mit persönlichem Postkartengruß.

Gesamtpreis, inkl. Versandkosten: 5 €

NEU: »Gepäckkontrolle«

»Irgendwann musste er danach fragen. Irgendwann will jedes Kind wissen, woher es kommt. Doch woher kommt er, mein Sohn?«

Mit dieser programmatischen Frage beginnt die erste Erzählung Zufal«, und natürlich verdankt das Kind sein Leben alles anderem als einem Zufall. Das Thema sexueller Gewalt wird in der zweiten Erzählung Das Geheimnis aufgegriffen. Die Heldin entscheidet sich für ein Schweigen, das ihr das Gefühl gibt, ihre Geschichte selbst zu schreiben — auch wenn es sie isoliert.

Die insgesamt vierzehn Erzählungen spielen um das Jahr 1989 in Berlin und thematisieren das Spannungsfeld zwischen Gespräch, Sprache, Schweigen, Literatur. Lea Joan Martin hinterfragt, was scheinbar zwangsläufig geschieht. Ihre Erzählungen legen den Finger auf den Entscheidungsspielraum jedes Menschen.

»Die Hungernden in Afrika sind ihm so egal wie die Angst junger Menschen vor Krieg und Gewalt. Offene Fragen kennt er nichts er weiß auf alles eine Antwort, über alles Bescheid. Selbst über Auschwitz redet er wie ein Buch. Er ist in eine Wahrheit verliebt, die ihn wenig kostet, weil er sie aus Büchern bezieht.« In der Erzählung Die Wahrheit über Barbara rechnet Katja mit ihrem ehemaligen Lehrer ab, der nicht versteht, weshalb sie Kommunistin wurde. Seinem Wahrheitsbegriff stellt sie einen entgegen, der sich aus persönlicher Erfahrung speist.

Um die Möglichkeiten und Grenzen persönlicher Freiheit im Kontext sozialer und politischer Verantwortung geht es in allen Erzählungen. Themen sind sexuelle Gewalt, Mauerfall, Klimaschutz, bikulturelle Beziehungen, politische Ohnmachtsgefühle und weibliche Selbstbestimmung.

In der Titelgeschichte Gepäckkontrolle, die vor dem Mauerfall spielt, wird eine junge Mutter an der Sicherheitskontrolle des Flughafens festgehalten, weil man sie aufgrund der Geburtsurkunde ihres Babys für eine potenzielle Terroristengattin hält. Während der für sie unangenehmen Prozedur erinnert sie sich an der Terroranschlag von Lockerbie.

Die Erzählungen wecken die Erinnerung an die Geburtsstunde des neu vereinten Deutschland. Ihre Aktualität beziehen sie aus der Suche nach persönlicher Freiheit und einer inneren Haltung, die das jeweils Andere mitdenkt. Die Mutter, die ihrem Sohn nicht sagen möchte, wer sein Vater ist, die Frau, die ihren sie betrügenden Mann an die Ausländerpolizei verraten könnte, bis hin zu der Sekretärin, die von ihrem Ex-Mann nicht erkannt wird, sie alle stehen vor persönlichen Entscheidungen: Was zeigen, was verschweigen wir? Welche Traditionen nehmen wir mit? Welche lassen wir besser zurück?

Der Band Gepäckkontrolle lädt dazu ein, das »Gepäck« der eigenen Lebensreise einer liebevollen Prüfung zu unterziehen.

»Kein Wort ist zu viel.« (Rezension bei Amazon von marielu92)

Lea Joan Martin: »Gepäckkontrolle«, Erzählungen, 250 Seiten, Hardcover (mit Lesebändchen), ISBN 978-3-935401-18-0, 19,90 €,

Die Autorin Lea Martin

»Schreiben als schützende Haut«. Ein Porträt von Susanne Mühlhaus in »Tangodanza«, Nr. 4/2021

Imageflyer von Lea Martin

Der Tango hat Lea Martin viel gegeben — und nun gibt sie in zwei Spendenaktionen etwas zurück: 100 Exemplare ihres Buchs Sind Tangotänzer die besseren Liebhaber? schenkt sie denjenigen, die mindestens 15 Euro an das Berliner Mala Junta von Judith Preuß spenden; und der Erlös aus dem Verkauf von Tango in my Heart geht an den Anfang des Jahres gegründeten Verein Pro Tango. Unsere Autorin Susanne Mühlhaus lernte die Schriftstellerin und Verlegerin nicht nur durch ihre Bücher, sondern auch im Interview kennen.

Mit dem Schreiben Geld verdienen — das gelingt der Berliner Autorin Lea Martin gleich auf zweierlei Weise: Im Hauptberuf angestellt bei einer IT-Firma im Gesundheitswesen verfasst sie Beratungsvorlagen und Sitzungsprotokolle. Und nach dem Studium der Literatur- und Politikwissenschaften in Stuttgart war Lea zunächst als Journalistin tätig, auch für den Rundfunk und in der Redaktion einer Tageszeitung. Mithilfe von zwei Stipendien konnte sie 1990 ihre erste Erzählung Abschied veröffentlichen, in der sie sich mit der NS-Vergangenheit ihres Vaters auseinandersetzt. Es folgte der Gedichtband weil ich keine jüdin bin im Selbstverlag, den sie gründete, bevor es in Mode kam, selbst zu verlegen. zu dem Zeitpunkt hatte Lea drei kleine Kinder, und ihre Ehe ging in die Brüche. Inzwischen hat sie bereits zehn Bücher veröffentlicht, darunter auch die beiden Roman Der Tangolehrer (2021) und Die Kommunistin (2021). »Durch Schreiben etwas bewegen« wollte sie schon immer. Bereits während der Schulzeit verfasste sie Beiträge für die Schülerzeitung über große weltpolitische Themen wie Atomkraft, Hunger, Krieg, aber auch Lyrik. Bemerkenswert findet sie bis heute, dass die Schülerzeitung damals verboten wurde — jedoch nicht wegen der politischen Themen, sondern wegen zwei ihrer Gedichte über Selbstbefriedigung und sexuelle Belästigung.

Schreiben als Selbstreflexion …

Das Wissen um die Nazi-Vergangenheit des eigenen Vaters und ihre damit verbundenen Schuldgefühle brachten eine physische und psychische Manifestieren mit sich. »Alles in meinem Körper fühlte sich falsch an, auch alle Gefühle.« Das hat sich erst durch die Geburt ihrer Kinder aufgelöst. Dann fand in der Begegnung mit demTango wieder ein intensives körperliches Erleben und Bewegteren statt.

Seit Lea 2014 mit dem Tangotanzen begann, hat sie ihre Erlebnisse schriftstellerisch verarbeitet. »Tango ging mir so nah, dass ich darüber schreiben musste. Das Schreiben schiebe ich als schützende Haut zwischen mich und die Welt.« Das hat sie bisher in drei belletrischen Büchern und in einem dokumentarischen Werk mit Interviews aus der Berliner Tanzszene im eigenen Joanmartin Literaturverlag umgesetzt. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund, sondern schreibt offen über Sex, Polyamorie, Narzissten, Eifersucht und Ambivalenz. »Wer schreibt, geht Beziehung ein« sagt Lea. »Zu Sprache. Zu Worten. Zu Lesern und Leserinnen, aber auch zu sich selbst.«

… aber durchaus auch politisch

Ein Tango-Buchprojekt löst das andere ab.

In ihren Büchern treffen Frauen manchmal Entscheidungen, die ihnen nicht guttun. Lea findet das ganz normal, denn »wenn man heute Frauen vorhält, dass sie ihre Interessen nicht selbstbewusst genug durchsetzen, muss man berücksichtigen, dass bis vor relativ kurzer Zeit noch der Ehemann der gesetzliche Bestimme war.« So ging bei Eheschließung das Vermögen der Frau bis in die 1950er Jahre noch in den Besitz des Mannes über. Es sei eine Überforderung »von Frauen zu verlangen, jetzt mal schnell die jahrhundertelange Tradition des Unterjochtseins abzuschütteln und so zu tun, als sei das nicht geschehen.« Vielmehr werden Frauen in ihren privaten Beziehungen von dieser Geschichte eingeholt. »Ich wünsche mir, dass wir als Frauen auch rücksichtsvoller mit uns selbst umgehen.« Leas Schreiben ist immer auch politisch. So beschäftigt sie sich z.B. mit‘ finanzieller Gewalt‘ bei Trennungen. Ein Projekt über ausländische Schriftsteller in der ehemaligen DDR, die mit der Wende ihre zweite Heimat verloren haben, verschwand vor langer Zeit in der Schublade. Jetzt hat sie es wieder hervorgeholt. »Einige der Leute, die ich vor 30 Jahren interviewt habe, konnte ich jetzt wiederfinden. Spanend ist der doppelte Bruch. Ich bringe mich auch stark ein als jemand, der aus dem Marxismus kommt. Weil ich das Projekt genreübergreifend angelegt und dabei einen künstlerischen Anspruch hatte, passte es in keine Schublade eines Publikumsverlages.« Genau das will sie aber auch anderen mit ihrem Joanmartin Literaturverlag bieten: eine Heimat für Bücher, die sonst in keine Schublade passen.

Schreiben ist wie Tango tanzen

Zu ihren Vorbildern als Schriftstellerin gehören Goethe und Thomas Mann, mit denen sie sich während des Literaturstudiums ausführlich befasste, ebenso Irmtraud Morgner, Christa Wolf und Ingeborg B Bachmann. Der Vorteil des Literaturstudiums sei zwar, dass man viel liest — gleichzeitig bekommt man aber auch großen Respekt vor diesen Literaten. »Insofern hat mich das Literaturstudium erst mal blockiert. Die Kunst dann, die alle hinter sich zu lassen und das Eigene zu finden.« Und das hat Lea Martin. Sie spielt gerne, sie provoziert, sie denkt politisch.

»Insofern ist Schreiben auch wie Tango tanzen«, denn auch im Tango geht es darum, den eigenen Stil zu finden — und das, was man gelernt hat (z.B. wie ein Roman gestaltet sein sollte), hinter sich zu lassen. Diesen Gedanken machte sie auch in einem Interview deutlich, als sie über »Tango als Metapher für das Schreiben« sprach.

Lea Martin beim Tango-Üben

»Durch den Tango ist mir bewusst geworden, wie ich schreibe und wie ich es in Zukunft entwickelt möchte.« Statt festgelegter Schritte aus Standard-Latein-Tänzen will sie auch hier nicht nach einem Schema vorgehen, sondern »ganz bei sich bleiben, wie beim Tangotanzen.« Auch beim Schreiben gebe es einen Flow und ein Führen und Folgen. »Das Führen ist das, was man sich vorgenommen hat, wie ein Text am Ende ausgehen soll _ und das Folgen ist das, was daraus wird.«

Literatur-Events

Nach ihrem Motto »Zur Literatur gehört, wie sie kommuniziert wird« hält Lea Lesungen im kleinen Kreis, veranstaltet seit 2017 Events, die Essen und Lesen kombinieren (Eat & Read). Seit Ende 2020 veröffentlicht sie auch einen Podcast (Privatlesung), denn »Literatur findet längst nicht mehr nur zwischen Buchdeckeln statt.« Mit ihren Hörstücken möchte sie andere ermutigen, ihrem eigenen Blick zu vertrauen und eine eigene Sprache zu finden.

Für Lea hat die Digitalisierung alles verändert. »Schrift ist Licht auf einem Bildschirm.« Schreiben geschieht nicht mehr mit Stift auf Papier, sondern Finger flitzen über die Tastatur. »Heutzutage lesen viele Leute keine Bücher mehr von Anfang bis Ende. Und ich möchte Sequenzen schreiben, die sich wie Perlen auf einer Kette aufreihen, jede Perle für sich und trotzdem verbunden.« Eben wie Tango tanzen.

»Wer erkennt sich da nicht wieder?«

Rezension von Susanne Mühlhaus in »Tangodanza«, Nr. 2/2022

»Der Tangolehrer«, Hardcover mit Lesebändchen, ISBN 978-3-935401-11-1

Mira hat zwei starke Bedürfnisse: Sie will Tango lernen und eine schöne Liebesbeziehung eingehen, leidet aber unter notorischem Zeitmangel. Wer erkennt sich da nicht wieder?

Sie beginnt einen Tango-Anfängerkurs, bricht ihn wieder ab, entdeckt aber in einer Tanzpartnerbörse den umwerfend gutaussendend Dilan, mit dem sie unbedingt tanzen will. Der gibt vor, etwas von Tango zu verstehen — und will sich, stolz wie er ist, von keinem Lehrer etwas beibringen lassen. Mira sieht in Dilan, was sie in ihn hineinprojiziert,. Dabei ist er kein Restaurantbesitzer, wie sie geglaubt hatte, sondern Aushilfskellner, insgesamt nicht sehr liebenswert, dafür immer fein gekleidet und mit deutlich narzisstischen Zügen versehen.

»Sie liebt ihn, er betrachtet sie als seinen Besitz.«

Sie will Nähe, er schafft Distanz. Sie liebt ihn, oder glaubt es zumindest. Er dagegen betrachtet sie als seinen Besitz, In diesem bikulturellen Beziehungsdrama beteuert er, dass sie die einzige Frau sei, die er lieben könne, beleidigt sie Minuten später, schreit sie an, beschwert sich über ihre Kinder, verbietet ihr zu schreiben.

(Fortsetzung folgt.)

»Was für ein Buchtitel!«

Susanne Mühlhaus in »Tangodanza« Nr. 4, 2020

Was für ein Buchtitel! Plaudert die Autorin Lea Joan Martin da etwa aus dem Nähkästchen?

Die äußere Reise des Buches führt durch Berliner Tango-Locations. Kein Wunder, schreibt sie doch eine Tango-Kolumne für das Berliner Tango Argentino Online-Magazin. Eindeutiger Favorit der Autorin: das Tangoloft. In elf Erzählungen aus der Sicht der Frau begleiten wir jede weibliche Hauptfigur durch ihren Gedankensturm, während das männliche Objekt der Begierde — häufig jünger als sie, immer schön — zwar physisch greifbar ist, aber nicht emotional. »Die beim Tango entstehende Anziehung ist ein gefährliches Terrain«, eine Gefahr, in die sich die Protagonistinnen sehenden Auges begeben. Manche lassen sich überrumpeln oder durch den Moment verführen. So stürzt die jeweilige Hauptfigur — Julia, Nele, Pia u.a. im Grunde Facetten ein und derselben Person — Hals über Kopf ins Karussell der Emotionen: sehnsuchtsvoll, mal unsicher, mal verwirrt, dann kurz entschlossen im Rausch der Hormone. Schlaflos wartet sie auf eine aussagekräftige SMS des Jünglings, der keine Beziehung will, schon eine hat oder eigentlich ganz weit weg wohnt und nur eine (Bei-)Schlafgelegenheit für eine Nacht sucht. Der Mann als Projektionsfläche weiblicher Wunschvorstellungen.

»Was beim Tanzen vor sich geht, gehört zu den schönsten Beschreibungen des Buches,«

Tangodana, Nr, 4/2020

Lea Martin schafft es, nicht nur Sehnsucht, Ambivalenz, Zweifel, Wut und Eifersucht, sondern auch Polyamorie, Anbaggerei, Narzissten und kluge Kinder in den Erzählungen unterzubringen und spickt sie noch mit falschen Freunden und Freundinnen und überheblichen Besserwissern. Eine zweite Ebene des Leids sind unterschiedliche Gewalttraumata in fast jeder der Geschichten: sexueller Missbrauch, Krieg, Gefangenschaft und Naziverbrechen werden thematisiert. Haben wir es deshalb mit lauter beziehungsunfähigen Menschen zu tun? Mira zum Beispiel »träumt lieber von der Liebe, als sie zu leben«. Inwieweit wollen sich diese Frauen überhaupt auf jemand anderen einlassen?

Es sind keine Kurzgeschichten, deren Ende offenbleibt, sondern wir erfahren, was aus den Protagonisten wird, Durch eine Vermischung von auktorialer und personaler Erzählperspektive schafft die Autorin in ihrem dritten Buch auch bei der Leserin Distanz und Nähe. Mal sind wir ganz nah bei der Frau, mal weiter entfernt. Die Geschichten haben einen gewissen Wiedererkennungswert, hat man doch das eine oder andere schon selbst erlebt und erlitten. Die Protagonistin der ersten Geschichte ist Tangoanfängerin. Das Tanzlevel steigt im Laufe des Buches, bis wir zuletzt Frauen kennenlernen, die auch im Leben dazu gelernt haben. Das ist schön und beruhigend! Dieses Buch sollte man Tangoanfängerinnen schenken, damit sie sehen, dass nicht sie allein ein Gefühlswirrwarr durchleben — und dass es ein Licht am Ende des Tangotunnels gibt. »Am nächsten Morgen erwacht sie lächelt und in der Gewissheit, dass die innige Verbindung, von der wir träumen, wenn wir Tango tanzen, in uns selbst beginnt.«

Was beim Tanzen vor sich geht, gehört zu den schönsten Beschreibungen des Buches, und man möchte an solchen Stellen am liebsten noch ein wenig verweilen, sie mit eigenen Vorstellungen, Erinnerungen und Wünschen ausmalen.

Was jedoch die Frage angeht, die im Titel gestellt wird — diese wird im Buch beantwortet, aber die Antwort verraten wir hier nicht!