Die Autorin Lea Martin

»Schreiben als schützende Haut«. Ein Porträt von Susanne Mühlhaus in »Tangodanza«, Nr. 4/2021

Imageflyer von Lea Martin

Der Tango hat Lea Martin viel gegeben — und nun gibt sie in zwei Spendenaktionen etwas zurück: 100 Exemplare ihres Buchs Sind Tangotänzer die besseren Liebhaber? schenkt sie denjenigen, die mindestens 15 Euro an das Berliner Mala Junta von Judith Preuß spenden; und der Erlös aus dem Verkauf von Tango in my Heart geht an den Anfang des Jahres gegründeten Verein Pro Tango. Unsere Autorin Susanne Mühlhaus lernte die Schriftstellerin und Verlegerin nicht nur durch ihre Bücher, sondern auch im Interview kennen.

Mit dem Schreiben Geld verdienen — das gelingt der Berliner Autorin Lea Martin gleich auf zweierlei Weise: Im Hauptberuf angestellt bei einer IT-Firma im Gesundheitswesen verfasst sie Beratungsvorlagen und Sitzungsprotokolle. Und nach dem Studium der Literatur- und Politikwissenschaften in Stuttgart war Lea zunächst als Journalistin tätig, auch für den Rundfunk und in der Redaktion einer Tageszeitung. Mithilfe von zwei Stipendien konnte sie 1990 ihre erste Erzählung Abschied veröffentlichen, in der sie sich mit der NS-Vergangenheit ihres Vaters auseinandersetzt. Es folgte der Gedichtband weil ich keine jüdin bin im Selbstverlag, den sie gründete, bevor es in Mode kam, selbst zu verlegen. zu dem Zeitpunkt hatte Lea drei kleine Kinder, und ihre Ehe ging in die Brüche. Inzwischen hat sie bereits zehn Bücher veröffentlicht, darunter auch die beiden Roman Der Tangolehrer (2021) und Die Kommunistin (2021). »Durch Schreiben etwas bewegen« wollte sie schon immer. Bereits während der Schulzeit verfasste sie Beiträge für die Schülerzeitung über große weltpolitische Themen wie Atomkraft, Hunger, Krieg, aber auch Lyrik. Bemerkenswert findet sie bis heute, dass die Schülerzeitung damals verboten wurde — jedoch nicht wegen der politischen Themen, sondern wegen zwei ihrer Gedichte über Selbstbefriedigung und sexuelle Belästigung.

Schreiben als Selbstreflexion …

Das Wissen um die Nazi-Vergangenheit des eigenen Vaters und ihre damit verbundenen Schuldgefühle brachten eine physische und psychische Manifestieren mit sich. »Alles in meinem Körper fühlte sich falsch an, auch alle Gefühle.« Das hat sich erst durch die Geburt ihrer Kinder aufgelöst. Dann fand in der Begegnung mit demTango wieder ein intensives körperliches Erleben und Bewegteren statt.

Seit Lea 2014 mit dem Tangotanzen begann, hat sie ihre Erlebnisse schriftstellerisch verarbeitet. »Tango ging mir so nah, dass ich darüber schreiben musste. Das Schreiben schiebe ich als schützende Haut zwischen mich und die Welt.« Das hat sie bisher in drei belletrischen Büchern und in einem dokumentarischen Werk mit Interviews aus der Berliner Tanzszene im eigenen Joanmartin Literaturverlag umgesetzt. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund, sondern schreibt offen über Sex, Polyamorie, Narzissten, Eifersucht und Ambivalenz. »Wer schreibt, geht Beziehung ein« sagt Lea. »Zu Sprache. Zu Worten. Zu Lesern und Leserinnen, aber auch zu sich selbst.«

… aber durchaus auch politisch

Ein Tango-Buchprojekt löst das andere ab.

In ihren Büchern treffen Frauen manchmal Entscheidungen, die ihnen nicht guttun. Lea findet das ganz normal, denn »wenn man heute Frauen vorhält, dass sie ihre Interessen nicht selbstbewusst genug durchsetzen, muss man berücksichtigen, dass bis vor relativ kurzer Zeit noch der Ehemann der gesetzliche Bestimme war.« So ging bei Eheschließung das Vermögen der Frau bis in die 1950er Jahre noch in den Besitz des Mannes über. Es sei eine Überforderung »von Frauen zu verlangen, jetzt mal schnell die jahrhundertelange Tradition des Unterjochtseins abzuschütteln und so zu tun, als sei das nicht geschehen.« Vielmehr werden Frauen in ihren privaten Beziehungen von dieser Geschichte eingeholt. »Ich wünsche mir, dass wir als Frauen auch rücksichtsvoller mit uns selbst umgehen.« Leas Schreiben ist immer auch politisch. So beschäftigt sie sich z.B. mit‘ finanzieller Gewalt‘ bei Trennungen. Ein Projekt über ausländische Schriftsteller in der ehemaligen DDR, die mit der Wende ihre zweite Heimat verloren haben, verschwand vor langer Zeit in der Schublade. Jetzt hat sie es wieder hervorgeholt. »Einige der Leute, die ich vor 30 Jahren interviewt habe, konnte ich jetzt wiederfinden. Spanend ist der doppelte Bruch. Ich bringe mich auch stark ein als jemand, der aus dem Marxismus kommt. Weil ich das Projekt genreübergreifend angelegt und dabei einen künstlerischen Anspruch hatte, passte es in keine Schublade eines Publikumsverlages.« Genau das will sie aber auch anderen mit ihrem Joanmartin Literaturverlag bieten: eine Heimat für Bücher, die sonst in keine Schublade passen.

Schreiben ist wie Tango tanzen

Zu ihren Vorbildern als Schriftstellerin gehören Goethe und Thomas Mann, mit denen sie sich während des Literaturstudiums ausführlich befasste, ebenso Irmtraud Morgner, Christa Wolf und Ingeborg B Bachmann. Der Vorteil des Literaturstudiums sei zwar, dass man viel liest — gleichzeitig bekommt man aber auch großen Respekt vor diesen Literaten. »Insofern hat mich das Literaturstudium erst mal blockiert. Die Kunst dann, die alle hinter sich zu lassen und das Eigene zu finden.« Und das hat Lea Martin. Sie spielt gerne, sie provoziert, sie denkt politisch.

»Insofern ist Schreiben auch wie Tango tanzen«, denn auch im Tango geht es darum, den eigenen Stil zu finden — und das, was man gelernt hat (z.B. wie ein Roman gestaltet sein sollte), hinter sich zu lassen. Diesen Gedanken machte sie auch in einem Interview deutlich, als sie über »Tango als Metapher für das Schreiben« sprach.

Lea Martin beim Tango-Üben

»Durch den Tango ist mir bewusst geworden, wie ich schreibe und wie ich es in Zukunft entwickelt möchte.« Statt festgelegter Schritte aus Standard-Latein-Tänzen will sie auch hier nicht nach einem Schema vorgehen, sondern »ganz bei sich bleiben, wie beim Tangotanzen.« Auch beim Schreiben gebe es einen Flow und ein Führen und Folgen. »Das Führen ist das, was man sich vorgenommen hat, wie ein Text am Ende ausgehen soll _ und das Folgen ist das, was daraus wird.«

Literatur-Events

Nach ihrem Motto »Zur Literatur gehört, wie sie kommuniziert wird« hält Lea Lesungen im kleinen Kreis, veranstaltet seit 2017 Events, die Essen und Lesen kombinieren (Eat & Read). Seit Ende 2020 veröffentlicht sie auch einen Podcast (Privatlesung), denn »Literatur findet längst nicht mehr nur zwischen Buchdeckeln statt.« Mit ihren Hörstücken möchte sie andere ermutigen, ihrem eigenen Blick zu vertrauen und eine eigene Sprache zu finden.

Für Lea hat die Digitalisierung alles verändert. »Schrift ist Licht auf einem Bildschirm.« Schreiben geschieht nicht mehr mit Stift auf Papier, sondern Finger flitzen über die Tastatur. »Heutzutage lesen viele Leute keine Bücher mehr von Anfang bis Ende. Und ich möchte Sequenzen schreiben, die sich wie Perlen auf einer Kette aufreihen, jede Perle für sich und trotzdem verbunden.« Eben wie Tango tanzen.