Nur das Knistern des Holzes im Ofen

von Katja Winckler

Aus nächster Nähe: Die Berliner Schriftstellerin Katharina Schäfer liest nicht öffentlich, sondern kommt mit ihrem Gedichtband „Weil ich keine Jüdin bin“ zu den Leuten nach Hause. Das gleicht einer Suche: Nicht alleine bleiben mit dieser Geschichte 

Die Idee geht auf Tupperpartys zurück. Aber statt bunter Plastikschüsseln werden Gedanken zu einem dunklen Thema ausgetauscht: Auschwitz. Wer sich bei Katharina Schäfer anmeldet, kann Freunde und Bekannte zu sich nach Hause einladen. Dann rückt die Schriftstellerin und ehemalige Journalistin mit ihrem Gedichtband „Weil ich keine Jüdin bin“ und einem großen Kassettenrekorder an. Lyrik als Anstoß für einen Dialog.

Die Küche einer Südenten-WG in Neukölln: Ein schwarz-roter Stern, Che Guevara und ein „Sesamstraße“-Plakat hängen an der Wand. Ein 50er-Jahre-Kpchentisch, darunter ein Flickenteppich, die Stühle zusammengewürfelt. Der Gastgeber mit Kinnbart und im Ökolook kocht Kaffee und legt im Ofen noch mal Holt nach. Um den Küchentisch haben sich seine alternativ angehauchten Freund und Bekannten, Mitte zwanzig, versammelt. Außerdem sind drei zwanzigjährige Berufsfachhochschülerinnen mit Lippenpiercing und in modisch-sportlichem Aufzug gekommen.

Katharina Schäfer selbst sticht etwas aus dem rahmen: in edles Schwarz gehüllt, mit hochhackigen Spitzenschuhen, perlmuttfarbenen lackierten Fingernägeln. Mit „Am Anfang der Lyrik stand die Sprachlosigkeit“ leitet sie ihre Gedichte ein, die von der Ermordung Millionen unschuldiger Menschen, dem Schweigen über die braune Vergangenheit in den Aufbaujahren, aber auch vom Schuldgefühl der Nachgeborenen, der Täterkinder, sprechen.

Die zwischendurch eingespielte Klemmer-Musik und Hanns Eisler „Konzentrationslagersymphonie“stimuliert den Betroffenheitsnerv ein wenig stark. Dennoch lässt sich zwischen den Zeilen lesen, was die dreifache Mutter seit Jahren dazu reibt, sich mit diesem Thema so intensiv zu beschäftigen. „Als ich zur Schule ging, erfuhr ich, dass mein Vater der Waffen-SS angehörte. Das überfordert mich heute noch“, erklärt sie der Gruppe später. Beruflich hat sich die Journalistin nie mit ihrem Thema auseinander gesetzt. Eines Tages aber habe sie sich über Theodor W.  Adornos Diktum, dass es barbarisch sei, nach Auschwitz Gedichte zu schreiben, hinweggesetzt. Die schrieb sie zunächst für die Schublade, bis sie sie unter dem trotzigen Titel vor vier Jahren im Eigenverlag herausgab.

Vor zwei Jahren startete sie damit die ersten Hausbesuche. Jetzt wird ihr Projekt vom Kultursenat gefördert. Die Fotokünstlerin Beate Sitzmüller fotografiert die privaten Räume, in die zu den Lesungen eingeladen wird. Der Literaturwissenschaftler Cem Sengül interviewt interessierte Teilnehmer. Eine Ausstellung und ein Fotoband sind in Planung.

Als Katharina Schäfers Stimme verstummt, herrscht Schweigen. Nur das Knistern und Knacken des Holzes im Ofen ist zu hören. Ab und zu ein verlegenes Räuspern. Ein junger Mann macht mit heiserer Stimme macht den Anfang: „Ich habe das Gefühl, sehr viel erfahren zu haben, gar nicht so sehr inhaltlich, sondern emotional.“ Ganz anders ein der Mädchen mit dem Lippenpiercing. Mit schneidender Stimme sagt sie: „Mich berührt das gar nicht. Ich habe damit ja gar nichts zu tun, weil ich daran ja gar nicht beteiligt war. Natürlich darf so etwas nicht wieder vorkommen, aber für mich ist die Zukunft wichtiger. Warum interessiert sich keiner für die Straßenkinder oder Mädels und Indien, die verhungern müssen.“ Ihre Freundinnen nicken zustimmend.

Jetzt kommt Bewegung in die Gruppe. Eine der Studentinnen sagt: „Mich erschreckt es, dass es Leute gibt, die das nicht berührt.“ Sie habe Angst, dass das Gespür für das, was passiert ist, verloren gehe. „Ich wurde von meinen Mitschülern als kalt abgestempelt, weil ich in Ravensbrück nicht geweint habe“, kontert das Piercingmädchen „Aber Deutsche waren genauso Opfer. Meine Oma war in russischer Gefangenschaft. Sie war Opfer, und nicht Täterin. Sie kann bis heute nicht drüber sprechen, was damals passiert ist, sondern nur weinen.“

Es kommt zu keiner Einigung. Dennoch ist Katharina Schäfer mit der zweieinhalbstündigen Sitzung zufrieden. Immerhin sei ein Sprechen über die Sprachlosigkeit gelungen. „Der Abend hat gezeigt, dass das Thema auch in der zweiten und dritten Generation ein Thema ist. außerdem möchte ich unterschiedlichen Postionen Raum bieten. Gegentöne sind ja bei uns vollkommen tabuisiert und werden höchstens hinter vorgehaltener Hand oder am Stammtisch ausgesprochen. Ich denke, dass solch ein offenes Gespräch bei beiden Seiten ein Denken in Gang setzt.“

Offensichtlich, denn nicht nur die Studentenclique, auch die Berufsfachschülerinnen haben sich trotz ihrer Abwehrhaltung zum Einzelinterview bereit erklärt. Vielleicht auch einmal eine Maßnahme für den CDU-Abgeordneten Martin Hohmann?

 

12.11.2003, die tageszeitung